Leseprobe:

 

 

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Vorwort

  Der Wissenschaft scheint das Herz abhandengekommen und damit die Einheit der Natur – das beweist die globale Weltkrise eindringlich. Infolgedessen wühlt die Sehnsucht nach Einheit und wahrhaft menschlicher Gemeinschaft nun im Inneren der Menschen und drängt zur Verwirklichung. Zunehmend mit den Folgen eigener Handlungsweise konfrontiert, sensibilisiert sich das Bewusstsein für die Grenzen selbstbezogener Gesinnung. Die Reaktionen könnten verschiedener nicht sein: Mit Macht wird hier versucht, die verlorene Einheit nach eigenen Vorstellungen zu verwirklichen, während dort auf erhabene Ideale und spirituelle Methoden gesetzt wird. Die Kontroverse gipfelt in einer grundlegenden Sinnfrage, welche sich mit diffusen Vorstellungen und oberflächlichen Annahmen nicht länger verantwortlich beantworten lässt. Im Selbstverständnis des Menschen und in seinem Verhältnis zur Einheit der Natur liegt die Ursache der Pro­blematik und auch der Schlüssel zu ihrer Überwindung verborgen; so viel kann aus der sich zuspitzenden globalen Entwicklung sicher abgelesen werden.

  Um die elementaren Werte offenzulegen, ist tiefe Einsicht erste Pflicht. Es gilt den Blickwinkel zu weiten. Der kühle Verstand muss dem warmen Herzen unterstellt werden. Nichts verlieren die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse an Wert, wo sie ernsthaft vom Herzen erwogen werden. Im Gegenteil, sie gewinnen gleichsam eine Dimension hinzu, weil sie nun in einem ganz anderen Licht erscheinen. Wo der Verstand zerteilt und Informationsflut schafft, da eint das Herz und fügt zusammen, was unvereinbar schien. Nach diesem Brückenschlag steht die Wissenschaft auch nicht länger im Widerstreit zur Bilderwelt der Religionen, Märchen, Mythen und Legenden. Der rote Faden des Lebens kann endlich wieder ans Licht treten. Und nur so, an der Hand des Lebens, werden wir der vor uns gestellten Aufgabe gerecht werden.

 

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  Mein Dank gilt all den vielen, die an der Entstehung des vorliegenden Werkes mitgewirkt haben, sei es durch tatkräftige Unterstützung, hilfreiche Worte oder die Fülle der inspirierenden Impulse, die mir als stille Begleiter stets hilfreich zur Seite gestanden haben und ohne die dieses Buch nicht möglich gewesen wäre. Mit diesem Beitrag für eine mögliche Lösung der so unheildrohenden Entwicklung hoffe ich, ihrer Unterstützung gerecht zu werden.

 

Bremen, im November 2014

 

Ronald Kahle

 

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Ein mysteriöses Etwas 

 

Es ist schon einige Zeit her, da hatte ich das Vergnügen, mich einer Jugendgruppe anschließen zu dürfen, die Prof. Oschwitz [1]  von der Hochschule Bremen gebeten hatte, ihr über die damals aktuellen Voyager-Missionen zu berichten. Nun, was die Voyager-Missionen betrifft, habe ich von dem Vortrag nicht viel behalten. Beeindruckt haben mich aber seine einleitenden Worte, die ich hier, soweit ich sie erinnere, sinngemäß wiedergebe:

 

  „Wenn wir gleich von kosmischen Dingen sprechen, dann werden wir auch mit astronomischen Zahlen konfrontiert. Wir sagen dann etwa: ‚Die Sonne ist von der Erde ca. 150 Millionen Kilometer entfernt, der nächste Fixstern 40 Billionen Kilometer, das sind ca. 4,26 Lichtjahre’, oder: ‚Unsere Galaxie hat einen Durchmesser von ca. 90.000 Lichtjahren’.

  Wir nicken dann mit dem Kopf und glauben zu wissen, um was es sich handelt.

  Zum Beispiel Tausend!“

  Indem er „1000“ an die Tafel schrieb fuhr er fort:

  „Das ist Tausend – – oder? – – Nein, das ist eine Eins mit drei Nullen! Das ist ein Sinnbild für Tausend! Zählen sie mal bis Tausend, jede Sekunde eine Zahl! Das braucht eine viertel Stunde, bis sie fertig sind. Das ist Tausend! – Oder eine Million:“

  Er fügte noch drei Nullen an die „1000“ an.

  „Das ist schnell hingeschrieben, nicht wahr? Aber zählen sie mal bis Eine-Million, acht Stunden pro Tag, also ein Arbeitstag, Samstag und Sonntag durchgezählt! Da brauchen sie über einen Monat. Das ist eine Million!

  Weil wir etwas benennen können, glauben wir zu wissen, was dieses ist. Neulich fragte ich meine Studenten:

 

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  ‚Was ist Kraft?’

  Die haben mich erst einmal groß angeguckt, wie ich so eine dumme Fragen stellen könne. Schließlich stand einer auf, malte einen Pfeil an die Tafel, wie im Physikunterricht üblich, wenn eine Kraftwirkung dargestellt werden soll, und sagte:

  ‚Das ist eine Kraft!’

  ‚Das ist ein Pfeil’, erwiderte ich, ‚keine Kraft.’

  Ein anderer drückte einen Schwamm zusammen und sagte:

  ‚Das ist eine Kraft!’

  ‚Nein, das ist ein zusammengedrückter Schwamm, keine Kraft.’

  Schließlich warf einer sein Radiergummi in hohem Bogen durch den Hörsaal, meinend, das sei nun eine Kraft. Aber es war ein fliegender Radiergummi, keine Kraft.

  Es zeigte sich also, dass wir wohl Wirkungen  einer Kraft beschreiben können, die Kraft selbst sich aber unserem Verständnis entzieht. Und wenn wir lange genug über etwas reden, meinen wir schließlich zu wissen, was das Ding an sich sei.

  So wie es dem Ingenieur mit der Kraft und der Energie geht, so geht es dem Biologen mit dem Leben, dem Psychologen mit der Seele und dem Theologen mit Gott.“

 

  Damit zeigt Prof. Oschwitz: Was wir konkret beschreiben können, sind letztlich Phänomene, Wirksamkeiten von „Etwas“. Diesem „Etwas“ geben wir dann einen Namen wie Kraft, Energie, Leben, Seele, Gott oder Zufall und glauben, so die Welt verstanden zu haben.

  Wenn wir ehrlich sind, müssen wir zugeben, vor einem Mysterium zu stehen, und das trotz all unserer wissenschaftlichen Erfolge. Sobald wir von den Phänomenen an den Kern der Dinge stoßen, greifen wir ins Leere. Diese Leere ist jedoch kein „Nichts“. Eben weil wir es nicht als „Nichts“, sondern als ein „Etwas“ erfahren, benennen wir es ja. Was heißt in diesem Zusammenhang „erfahren“? Ist es nicht letzten Endes ein kindliches Staunen über einen wahrgenommenen Vorgang und ein wissendes Ahnen von etwas Verwandtem hinter dem Geschehen? Denn, wer erfährt das wirkende „Etwas“?

 

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  Der Körper? – Der Körper erleidet die Einwirkung oder nimmt äußere Reize als Einwirkungen wahr. Er bleibt damit auf der Ebene der Phänomene.

  Die Psyche oder Seele? – Diese Begriffe sind, wie Prof. Oschwitz zeigt, Platzhalter für das „Etwas“ in uns. Dem inneren „Etwas“ steht folglich ein äußeres „Etwas“ gegenüber, getrennt durch eine Mauer der Erscheinungen.

 

  Vor diesem Hintergrund ist jeder Widerstand nur allzu verständlich, der sich erhebt, wenn versucht wird, seelische Aspekte wissenschaftlich oder gar physikalisch zu erklären. Insbesondere die Physik beschreibt doch nur Phänomene, während die Seele dem unfassbaren „Etwas“ entspricht. Andererseits sind aber alle wahrnehmbaren Erscheinungen die Offenbarungen eines wirkenden „Etwas“. Sind wir im Alltagsleben gewohnt, den Ball als Ursache für das Zerbrechen der Fensterscheibe anzusehen, weist die Physik auf die im Ball konzentrierte Bewegungsenergie hin, die auf die Glasscheibe einen Kraftstoß ausübt, der die innere Struktur des Glases auseinanderreißt.

  Namentlich die Physik sucht das allgemein Wirkende, das geistige Prinzip zu erfassen, das uns hinter der Vielzahl der Erscheinungen entgegentritt. Sie fand: Energien und Kräfte, und entdeckte, dass dieses „Etwas“ nicht willkürlich, sondern berechenbar, zuverlässig und unbestechlich ist.

Aber wer staunt heute noch über Naturgesetze? Schon als Kinder werden wir vollgestopft mit den Erkenntnissen der Menschheit; Zeitungen, Fernsehberichte und Wikipedia tun ein Übriges. Wir ertrinken in einer Flut von Informationen. Erfahrungen lassen sich nicht vermitteln, und so verbleibt alle Kenntnis auf der Ebene der Erscheinung. Oder ist es nicht so, dass wir letztlich an die Kräfte und Energien glauben, wie vorher an den fliegenden Ball und wie Naturvölker an Geister und Dämonen glauben mögen? Dem Materialisten mag es egal sein, schließlich ist die Glasscheibe sowieso kaputt.

  Allein, wem es nicht genügt, nur für wahr zu halten, was andere behaupten, Skeptiker, wie Prof. Oschwitz, die selbst erfassen wollen, die ein Hunger nach Wahrheit treibt, diese vermögen sich dem Kern der Dinge zu nähern, die Begegnung mit dem „Etwas“ auszuhalten, denn diesem stehen wir allein, gleichsam nackt gegenüber. Um dieses zu vermeiden, unsere gänzliche

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Kann die Physik Geltung für die Seele haben?

 

  Wollen wir uns Gewissheit verschaffen über die Rückschlüsse, die wir aus den Erkenntnissen der Neurobiologen gewonnen haben, und nach tieferem Verständnis trachten, dann wird es gut sein, die nüchternste aller Wissenschaften zu Rate zu ziehen, die am wenigsten Raum für Spekulationen bietet, die Physik. Keine andere Fakultät fühlt sich, wie sie, der exakten Beobachtung verpflichtet. So heißt es in der Einleitung eines Oberstufenlehrbuchs zur Physik:

 

  „Wollen wir Menschen die richtigen, naturgemäßen Begriffe und Gesetze finden, so ist uns nur dann Erfolg beschieden, wenn wir bescheiden und mühsam unser Denken nach den Tatsachen und nicht nach unseren Wünschen richten.“ [65]

 

  Mit diesem Anspruch geraten wir aber bald an unsere Grenzen, wie Giordano Bruno bereits aufzeigte. Schon wenn wir ein Ereignis beschreiben und einen Begriff wählen, idealisieren wir, verlassen wir die Ebene des Wahrgenommenen und zwängen das Geschehen oder den Gegenstand in ein Denkmuster. Aus diesen „Denkschubladen“ heraus bedienen wir uns, um Zusammenhänge zu erklären und Naturgesetze zu formulieren. Nun arbeitet die theoretische Physik so viel wie möglich mit allgemeinen, abstrakten Größen wie Kraft, Energie, Masse, Feld u. ä., deren Verknüpfungen sie mittels der Sprache der Mathematik auszudrücken sucht. Sie erhält dadurch zwar die größtmögliche Objektivität, doch letztlich bleiben auch die so formulierten Naturgesetze mathematische Konstruktionen mit hypothetischem Charakter, 

 

 

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bleiben Versuche, sich dem mysteriösen „Etwas“zu nähern. So äußerte sich Niels Bohr bezüglich der Aufgaben und Möglichkeiten der (Quanten-)Physik:

 

  „Es gibt keine Quantenwelt. Es gibt eine abstrakte quantenphysikalische Beschreibung. Es ist falsch anzunehmen, daß es die Aufgabe der Physik sei, herauszufinden wie die Natur ist. Physik interessiert sich für das, was wir über die Natur sagen können.“ [66]

 

  Die Physik strebt danach, ihre Gesetze so zu formulieren, dass ihnen universelle Gültigkeit zukommt. Sie bleiben aber Mittel zum Verständnis und sollen mehr auch nicht sein. So schreibt Albert Einstein in „Mein Weltbild“:

 

  Wenn es nun wahr ist, daß die axiomatische Grundlage der theoretischen Physik nicht aus der Erfahrung erschlossen, sondern frei erfunden werden muß, dürfen wir dann überhaupt hoffen, den richtigen Weg zu finden? [...] Hierauf antworte ich mit aller Zuversicht, daß es den richtigen Weg nach meiner Meinung gibt und daß wir ihn auch zu finden vermögen. Nach unserer bisherigen Erfahrung sind wir nämlich zum Vertrauen berechtigt, daß die Natur die Realisierung des mathematisch denkbar Einfachsten ist. Durch rein mathematische Konstruktionen vermögen wir nach meiner Überzeugung diejenigen Begriffe und diejenigen gesetzlichen Verknüpfungen zwischen ihnen zu finden, die den Schlüssel für das Verstehen der Naturerscheinungen liefern.“ [67]

 

  Nun ist die Wesensart der Erkenntnis eine zweifache. Auf der Basis reiner Kenntnis lassen sich die physikalischen Gesetze anwenden, um Maschinen zu bauen oder Sonden zum Saturn zu schicken. Das Begriffsvermögen verbleibt dabei völlig auf der Ebene fragmentarischen Verstandesdenkens. Wenn es nicht so wäre: Die Atombombe wäre uns wohl erspart geblieben. 

 

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In diesem Sinne bemerkte A. Einstein in seiner Rede anlässlich der Eröffnung der 7. Deutschen Funkausstellung und Phonoschau 1930 in Berlin:

 

  „Sollen sich auch alle schämen, die gedankenlos sich der Wunder der Wissenschaft und Technik bedienen und nicht mehr davon geistig erfasst haben als die Kuh von der Botanik der Pflanzen, die sie mit Wohlbehagen frisst.“ [68]

 

  Wenn wir darum die naturgesetzlichen Aussagen der Physik als Schlüssel zum Verständnis des Weltzusammenhangs betrachten, wie Einstein sagt, dann sind ihre Merksätze und mathematischen Formeln Hilfsmittel zu einem naturphilosophischen Weltverständnis, das weit über die Physik hinausreicht und auch unser Selbstverständnis auf den Prüfstand zu stellen vermag. Es geht dann nicht mehr um einzelne Objekte, um diese oder jene Eigenschaft; es geht dann darum, mit dem Eigentlichen in Verbindung zu kommen.

  Diese Verfahrensweise, sich dem Mysterium des Daseins zu nähern, hat in Griechenland mit Thales von Milet ihren Anfang genommen. Aus dem eigenen Selbstverständnis heraus wurde nach dem Wesen der Materie gefragt. In der Folge wurde das antike Gottesverständnis mit seinen Autoritäten von den Sockeln gestoßen und der Mensch vor seine Selbstverantwortung gestellt. Heute nun sehen wir uns mit dem Ausgangspunkt konfrontiert, unserem Selbstverständnis, unserer Identität. Erschien dem Menschen damals die Materie fragwürdig, nicht aber sein eigenes Ich, so stehen wir heute in der Situation, dass wir die Materie bis in die innere Struktur des Atoms hinein beherrschen können, dafür aber die eigene Seelenachse aus den Augen verloren haben. Die Suche nach dem Mysterium in der Außenwelt hat nicht zum Erfolg geführt. – Oder etwa doch? – Stets entzog es sich dem Zugriff, wich zurück wie eine Luftspiegelung. So ist der Mensch sich selbst zum Mysterium geworden. Das sich ausbreitende Interesse an östlicher Weisheit, Spiritualität und esoterischen Themen weist auf diese 

 

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zunehmende Innenorientierung  der Mysteriensuche hin.

  Wozu dieser lange Weg durch die Irrungen der Außenwelt, wenn nicht, um ein Unterscheidungsbewusstsein auszubilden, welches imstande wäre, nun auch im eigenen Innenraum und frei von Schwärmereien und Mystifikationen, das, was wirklich ist und sein kann, zu trennen von all den Phantasien, Spekulationen, Halbwahrheiten und falschen Hoffnungen, die sich im Laufe der Zeit dort angesammelt und zu psychischen Komplexen verdichtet haben, die nunmehr unser Leben dominieren, statt dass wir selbst den Kurs bestimmen.

  Wenn wir heute ein Wegbrechen der Traditionen und einen allgemeinen Zerfall der Werte in unserer Gesellschaft feststellen, dann offenbart dies eine nicht mehr genügende Kraft der alten Systeme, Ordnungen und Methoden, um ein offenes Hervorbrechen der Selbstbezogenheit zu verhindern. Nicht neue Gehege oder frische Weiden für egozentrische Ansinnen sind hier vonnöten, sondern eine rechte Einordnung des Teiles im Ganzen, nicht mittels eines stählernen moralischen Korsetts, das notwendigerweise an äußere Autorität gebunden wäre, sondern vielmehr auf Basis tiefer Ein-Sicht und Selbst-Erkenntnis.

 

  Nun ist es sicher nicht nach jedermanns Geschmack, die Seele mit physikalischen Gesetzen in Zusammenhang zu bringen. Dieses Unbehagen folgt aber aus der Vorstellung, wir wüssten bereits, was Seele, Materie, Kraft oder Energie eigentlich seien. Wie Professor Oschwitz’ Studenten hantieren wir dabei aber tatsächlich nur mit Platzhaltern, die unsere Unwissenheit bemänteln. Haben wir darum doch den Mut, die verschiedenen Ansichten des so ungreifbaren „Etwas“ nebeneinander zu stellen. Es geht dabei ja auch nicht darum, den einen Blickwinkel (z.B. den religiösen) durch den anderen (etwa den biologischen) auszustechen. Wie eingangs bereits erwähnt, lässt sich das Wesen des „Etwas“ auf diese Weise überhaupt nicht ergründen; alles verbleibt in der Domäne des Fragmentarischen. Erst mit genügend Abstand zeigt sich das Mosaikbild dem Betrachter. Jeder Stein hat seine Berechtigung; und wie dieser sich im Bild verlieren muss, um die Darstellung hervorzubringen, so ist selbst das Gesamtgebilde nur Mittel,

 

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um der Intention seines Schöpfers Ausdruck zu verleihen. Das Eigentliche liegt also auf einer völlig anderen Ebene. Vorausgesetzt, wir halten unsere bruchstückhafte Kenntnis nicht bereits für das Wesentliche, kann sie uns als Brücke oder Schlüssel dienen, um mit dem Eigentlichen in Verbindung zu treten.

  Zweifelsohne ist eine physikalische Herangehensweise im Sinne westlicher materialistischer Denkart jedenfalls konservativ und wird soviel als möglich ohne spekulative Elemente auszukommen trachten. Es geht – in Anlehnung an Niels Bohrs Aussage zur Physik – ja auch nicht darum, zu sagen, was Seele, Leben, Geist, Gott, Natur oder Einheit sei, sondern vielmehr darum, was wir objektiv darüber zu sagen vermögen.

 

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Quanten - Physik der Einheit

 

  Mit unseren vorhergehenden Überlegungen, wie die Einzelteile des Mosaikbildes sich zur Einheit formen, berühren wir bereits den zentralen Punkt der Quantenphysik. Wenn wir etwas als Einheit verstehen, dann uns selbst. Wir denken uns ja nicht als eine Ansammlung von Organen, Zellen und Flüssigkeiten, ordentlich in einem Ledersack verstaut, sondern als etwas über die Summe der Teile Hinausgehendes, dem wir möglicherweise Ausdruck verleihen, indem wir von der Einheit von Körper, Seele und Geist sprechen. Was immer wir darunter auch verstehen mögen, es beweist die Existenz einer Vorstellung dessen, was Einheit sei.

  Die Dinge um uns herum empfinden wir als „Anderes“. Sie sind aus unserer Einheit ausgeschlossen. Was aber, wenn dieses Andere nicht da ist – keine Dinge, kein Raum, keine Zeit? – Sicher, diese Frage ist sehr hypothetisch, aber bei dem Versuch, sie zu beantworten, vermissen wir sofort ein Gegenüber, was die Unvollkommenheit eines Einheitsverständnisses offenlegt, das ausgrenzt, denn wo ein Etwas ein Anderes benötigt, um selbst existieren zu können, da sind beide nur Teile in einem größeren Zusammenhang. Natürlich fürchtet unser Ego sogleich, in diesem umfassenden Einen aufgelöst zu werden, und meldet in seiner Existenzangst Bedenken an.

  Lassen wir diese emotionale Befindlichkeit aber zunächst einmal außer Acht, dann begegnen wir der Einheit an den beiden Endpunkten des Universums: Erstens ist da das All selbst, das alles umfängt und in dem alles ist. Von dieser Einheit vermögen wir nur die innere Struktur zu erkennen. Seine wahre Art bleibt uns verborgen, so wie den Nierenzellen die Art unserer Existenz verborgen sein mag. Zweitens dürfen wir die kleinsten Bausteine der Materie als abgeschlossene Einheiten auffassen.

 

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  Hier also die Einheit des Alls, dort die Einheit des Elementarteilchens – und dazwischen das Getrennte und Teilweise?

  Beide Pole der Einheit sind mit uns, die wir uns getrennt wähnen, verbunden: Wir sind ein Teil des Kosmos, zugleich aber aus den Elementarbausteinen der Natur aufgebaut. Unser Erkenntnisvermögen ist deshalb auch zweifacher Art: Analytisch unterscheidend und intuitiv erfassend. Analytisch unterscheidend dort, wo uns die Teile selbst als ein Ganzes gegenübertreten, versehen mit Form und Eigenschaft. Es ist das Seziermesser, das Herz, Leber, Lunge, Gefäße, Zellen, Zellkerne, Moleküle und Atome scheidet oder, um ein größeres Objekt zu nehmen, staatliche Organe, Verwaltungsstrukturen und soziale Zellen.

  Die innere Struktur, die die Einzelteile zusammenhält, die aus der Ansammlung der Zellen Organe und aus diesen einen biologischen Körper oder ein staatliches Gebilde erschafft, bleibt hierbei verborgen. Diese ist ihrem Wesen nach unsichtbar – wie Kraft. So wie Professor Oschwitz es seinen Studenten demonstrierte, können wir an den Dingen nur die Wirkung der Kraft feststellen. Allein, da die Kräfte auch auf uns einwirken und wir selbst mit ihnen umgehen (Druck erzeugen, etwas anziehen, abstoßen oder in Bewegung setzen ...), können wir sie erkennen und vermögen wir etwas über sie auszusagen. Das Erfassen des Geschehens ist dann intuitiv und wir versuchen es irgendwie auszudrücken, sei es durch mathematische Beschreibungen, wie in der Physik üblich, oder mehr gefühlsbetont, wenn wir beispielsweise ein Staatswesen charakterisieren, indem wir von dessen „Atmo­sphäre“, dem Lebensgefühl oder dem dort „wehenden Geist“ sprechen.

 

Feld

  Gerade die gefühlsbetonte Beschreibung zeigt, dass diese innere Struktur am besten als Kraftfeld aufgefasst werden kann. Kraftfelder sind für uns nicht sichtbar. Wir können nur ihre Wirkungen erfahren, das Gravitationsfeld der Erde, wenn wir emporspringen und sofort wieder

 

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von der Erdanziehungskraft auf den Boden zurückgeholt werden. Allgemein bekannt sind noch elektrische und magnetische Felder sowie elektromagne­tische Wechselfelder.

  In der Physik wird von einem Feld gesprochen, wenn jedem Punkt in einem Raumgebiet eine physikalische Größe zugeordnet werden kann. Unsere Wetterkarten zeigen unter anderem die verschiedenen Temperatur- und Luftdruckwerte an und stellen auf diese Weise das Temperatur- und Luftdruckfeld dar. Beim Strömungsfeld des Windes kann neben der Windgeschwindigkeit auch noch die Richtung angegeben werden. Das ist dann ein Kraftfeld, vergleichbar einem Magnetfeld, in dem sich Eisenspäne nach den Feldlinien ausrichten.

  In einem Kraftfeld wirkt eine Kraft zwischen zwei Raumpunkten, im Falle des Windkraftfeldes zwischen dem Zentrum des Hoch- und dem des Tiefdruckgebietes, im Falle eines Magneten zwischen dessen Nord- und Südpol. Beide Pole eines Kraftfeldes beeinflussen sich stets wechselseitig, weshalb von Wechselwirkung gesprochen wird. Der Begriff der Wechselwirkung ersetzt hier den in der Mechanik gebräuchlichen Begriff der Kraft. Eine polarisierende Wertung im Sinne von Täter und Opfer ist in einem Feld nicht möglich, denn definitionsgemäß sind stets beide Pole an den sie treffenden Einwirkungen beteiligt. Wir können es auch so sagen: Die Begriffe Subjekt und Objekt werden im Begriff der zwischen ihnen stattfindenden Wechselwirkung aufgehoben. Ohne Wechselwirkung wären Subjekt und Objekt völlig isoliert und hörten schon deshalb auf, Subjekt und Objekt zu sein. So schreibt Carl Friedrich v. Weizsäcker:

 

  „Das, was wir empirisch als isoliertes Teilchen ansprechen, ist in Wahrheit selbst schon ein Ergebnis seiner Wechselwirkung mit der stets vorhandenen Umwelt. Solche Überlegungen legen es nahe, die Eigenschaften der ‚isolierten’ Teilchen grundsätzlich als Wechselwirkungen aufzufassen.“ [69]

 

Das Lindenblatt ist grün. So denken wir gewöhnlich und halten die Wechselwirkung zwischen Blatt und Auge für ausgesprochen nebensächlich. Infolgedessen glauben wir, die Welt sei so, wie sie uns erscheint. Das Lindenblatt ist aber nicht grün. Es hat 

 


[1]     Name geändert.

[65]   Dorn: „Physik“, S. 10

[66]   Bohr, Niels zitiert nach Arendes, Lothar: „Das Realismusproblem in der  Quantenmechanik“, S. 24.

[67]   Einstein, Albert: „Mein Weltbild“, S. 129/130. Kann die Physik Geltung für die Seele haben? 

[68]   Einstein, Albert: Eröffnungsansprache der 7. Großen Deutschen Funkausstellung und Phonoschau, Berlin, Haus der Rundfunkindustrie, 22. August 1930. 

[69]   Weizsäcker: Carl Friedrich von: „Die Einheit der Natur“, S. 164.